Angesichts der aktuellen und erschütternden Lage im Krieg gegen die Ukraine kommen inzwischen viele Flüchtlinge aus dem Kriegsgebiet in Deutschland an. Haben sich an den Migrationsdienst des Caritasverbandes Darmstadt bereits geflüchtete Menschen aus dem Kriegsgebiet gewandt?
Maria-Antonia Estol:
Vor zwei Wochen, zu Beginn des Krieges, hatten sich einige Angehörige von Ukrainer*innen bei uns gemeldet oder auch Firmen, die Mitarbeitende in der Ukraine haben und sich insbesondere nach Wohnraum erkundigten. Inzwischen erreichen uns täglich etwa fünf Anfragen, auch von Menschen aus der Ukraine. Ich gehe davon aus, dass es bald mehr werden.
Bei den Kolleginnen im Kreis Bergstraße ist die Situation vergleichbar.
Welche Hilfe erwarten diese Menschen von Ihnen und Ihrem Team?
Maria-Antonia Estol:
Die Anliegen sind unterschiedlich. Da ist die Familie, die am Bahnhof eine Familie in Empfang genommen hat und nun nicht weiß, welche Schritte die nächsten sind. Oder die Familie, die mit der schwerkranken Großmutter hier angekommen ist, die nun medizinische Unterstützung braucht oder die Familie, die nach Kleidung fragt, weil sie überstürzt fliehen mussten und es nun an allem fehlt.
Wie können Sie die Menschen unterstützen?
Maria-Antonia Estol:
Migrationsdienste sind oftmals erste Anlaufstellen für Migrant*innen. Unsere Beraterinnen geben grundlegende Informationen und beraten Menschen, die neu in Deutschland ankommen. Wir erstellen eine Brücke zwischen Geflüchteten und vorhandenen Hilfsangeboten. Am Anfang wird es für die angekommenen Ukrainer*innen darum gehen zu erfahren, wo sie unterkommen können, wo sie bleiben können, wo sie unter Umständen finanzielle Hilfe erhalten können, wie die Gesundheitsversorgung gewährleistet werden kann. Wenn die Frage des Aufenthaltsortes geklärt ist, wird es darum gehen, Hilfen zu geben, damit sich die Menschen hier zurechtfinden. Wir wissen nicht, wie lange sich dieser Konflikt hinzieht und ob die Ukrainer*innen lange Zeit hierbleiben müssen. Sollte der Aufenthalt länger bleiben, berät der Migrationsdienst in allen Fragen, die sich im Alltag stellen, Wohnung, Existenzsicherung, Gesundheit, Arbeit, Kinderbetreuung, Schule und vieles mehr.
Im Fernsehen haben wir gesehen, dass viele junge Frauen mit kleinen Kindern geflohen sind und völlig verzweifelt und traumatisiert hier ankommen. Das Psychosozialen Zentrum für Geflüchtete Südhessen steht für Gespräche, psychosoziale Beratung zur Verfügung und vermittelt ebenfalls in die weiterführenden Hilfestrukturen weiter.
Im Kreis Bergstraße gibt es auch eine Koordinationsstelle Asyl. Die Caritasmitarbeiterin Deniz Inal steht den Ehrenamtlichen als Ansprechpartnerin für die Belange der Flüchtlingsinitiativen im Kreis Bergstraße zur Verfügung. Damit die sich verändernden Aufgaben in der Flüchtlingshilfe nicht zu Überforderung und Frustration führen, sondern ein gutes Miteinander in den Gemeinden ermöglichen, bietet die Koordinationsstelle ein breites Unterstützungsangebot an. Dieses reicht von der Beratung in Einzelfragen bis hin zur Gruppenberatung über Informations- und Qualifizierungsangebote bis hin zur Netzwerkförderung, unter anderem in Form von Austausch - und Vernetzungstreffen, Öffentlichkeits- und Lobbyarbeit sowie eigener Homepage.
Stehen Ihnen Dolmetscher*innen zur Seite?
Maria-Antonia Estol:
Wir sind tatsächlich in der Beratung auf Menschen angewiesen, die uns in der Beratung und Begleitung sprachlich unterstützen. Im Moment würden wir uns sehr über Ehrenamtliche mit ukrainischen und russischen Sprachkenntnissen freuen.
Melden sich bei Ihnen auch Menschen, die ihre Hilfe anbieten möchten und sind Sie dafür die richtigen Ansprechpartnerin?
Maria-Antonia Estol:
Wir haben Anfragen zu Sachspenden bekommen. Da verweisen wir in Darmstadt zum Beispiel an den Verein Partnerschaft Deutschland-Ukraine/Moldova e.V. (PDUM). Dieser Verein hat bereits eine Hilfslieferung durchgeführt und plant meines Wissens eine weitere Fahrt in die Ukraine. Geldspenden bitten wir über Caritas International zukommen zu lassen. Das ist der effektivste und schnellste Weg Menschen in Not in der Ukraine zu unterstützen. Das Geld geht direkt an die Caritas Ukraine, die vor Ort die Hilfen koordiniert.
Wir arbeiten sehr gerne mit Ehrenamtlichen zusammen, die sich in der Begleitung von Migrant*innen engagieren möchten. Die Koordination der ehrenamtlichen Flüchtlingshilfe hat in Darmstadt das Freiwilligenzentrum übernommen. Dort werden alle Angebote für eine freiwillige Tätigkeit und Anfragen von Interessierten gebündelt.
Erleben Sie diese Hilfsbereitschaft auch als ganz besonders?
Maria-Antonia Estol:
Die Hilfsbereitschaft der Menschen ist beeindruckend. In meiner langjährigen Tätigkeit im Migrationsdienst habe ich es selten erlebt, dass so viele Menschen anrufen, weil sie ihren Wohnraum für geflüchteten Menschen zur Verfügung stellen wollen. Hier verweisen wir in Darmstadt und im Landkreis Darmstadt-Dieburg an die Stadt und den Landkreis, die unglaublich schnell reagiert haben und die Koordination übernommen haben.
Was unterscheidet diesen Krieg von den anderen dieser Welt?
Maria-Antonia Estol:
Dieser Krieg findet in unserer unmittelbaren Nachbarschaft, in Europa statt, nur eine Tagesfahrt mit dem Auto und nur zwei Flugstunden entfernt. Das ist genausoweit wie nach Spanien, Deutschlands liebstes Urlaubsland. Ich nehme an, dass diese Nähe zu einer Verbundenheit führt und viele Menschen besonders betroffen macht. Sicherlich schwingt die Angst mit, dass sich der Konflikt mit seinen Konsequenzen auf Deutschland ausweiten könnte.
In unserer Arbeit sind wir mit vielen Konflikten dieser Welt konfrontiert. Die meisten werden von der Öffentlichkeit nicht wahrgenommen oder im Laufe der Zeit vergessen, Syrien, Somalia, Afghanistan, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Da erleben wir die große Verzweiflung von Geflüchteten. Deren Geschichten und Schicksale, die Folgen der Flucht gehen unter die Haut und sind schwer auszuhalten.
Für die Ukrainerinnen und Ukrainer freut es mich, dass für sie das belastende Asylverfahren entfällt und sie eine Aufenthaltserlaubnis erhalten, die ihnen ermöglicht eine Arbeit aufzunehmen.
Was braucht es nun die nächsten Monate?
Maria-Antonia Estol:
Die Aufnahme von geflüchteten Menschen ist eine immerwährende gesellschaftliche Aufgabe. Irgendwo auf der Welt passiert immer etwas Schlimmes und Menschen müssen ihre Heimat verlassen. Deshalb sollten politisch Verantwortliche dauerhafte Strukturen zur Aufnahme, Versorgung und Integration schaffen. Das betrifft unter anderem die Bereiche Wohnen, Arbeitsaufnahme, Gesundheit, Bildung. Es klingt banal, wichtig ist, dass in zivilgesellschaftliche Strukturen investiert wird.
Ein lang gehegter Wunsch der Fachleute in der Migrationssozialarbeit ist, dass Migrant*innen alle Hilfen und Dienste selbstverständlich und barrierefrei in Anspruch nehmen können. Noch immer finden viel zu wenige den Weg in die Regelversorgung oder nur durch intensive Begleitung durch die Migrationsdienste. Es wäre in der Sozialen Arbeit wunderbar, wenn in allen Bereichen selbstverständlich Dolmetschende eingesetzt werden könnten.
Ganz sicher ist es nötig Hilfsangebote jeglicher Art gut zu vernetzen und die Zusammenarbeit zu intensivieren. Und vor allen Dingen brauchen wir Anstrengungen, den Frieden herzustellen und zu erhalten.
Wichtige Infos:
Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hat auf seiner Internetseite Informationen für Menschen aus der Ukraine zur Einreise und zum Aufenthalt in Deutschland zusammengestellt. Die Informationen sind auf Deutsch, Ukrainisch und Russisch verfügbar.
Auf www.caritas-darmstadt.de haben wir wichtige Informationen zusammengestellt, an wen sich Menschen, die Wohnraum zur Verfügung stellen möchten, wenden können. Dort finden Sie auch den Link zu den Informationen von Caritas International sowie den Link zu einer Geldspende.
Kontakt Migrationsdienst Darmstadt: 0049 6151 500 28 70
Kontakt Migrationsdienst Bergstraße: 0049 6251 85 42 50
Psychosoziales Zentrum für Geflüchtete in Südhessen 0049 6151 500 28 60
zuständig für die Landkreise Bergstraße, Odenwald und Groß-Gerau.