Rassismus im Beratungsalltag
Die Arbeit in unseren Beratungsstellen beruht auf einem christlichen Menschenbild. Die Hinwendung zu Hilfebedürftigen und die Solidarität mit ihnen ist unser Grundauftrag. Unsere Angebote stehen dabei allen Menschen offen, unabhängig der ethnischen Herkunft, Nationalität, Alter, Beeinträchtigung, Religion, Geschlecht oder sexuellen Orientierung. Daher wenden wir uns gegen jede Form von Rassismus, Ausgrenzung oder gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit.
Wir beobachten jedoch im Beratungskontext, dass rechtspopulistische Aussagen von Klienten und ihren Angehörigen immer mehr zunehmen und sich uns die Frage nach dem professionellen Umgang damit stellt. Uns allen dürfte klar sein, dass Schweigen keine Lösung sein darf. Schweigen könnte dem Gegenüber Zustimmung signalisieren und vermitteln, das Gesagte sein in Ordnung. Bleiben radikale Aussagen im öffentlichen Raum immer wieder unwidersprochen, gewöhnen sich Menschen an den Terminus und die Aussagen werden zu einem tolerierten Teil des Alltags. Rechtspopulistische Inhalte und Forderungen benachteiligen bestimmte Gruppen, spielen sie gegeneinander aus und haben eine starke exkludierende Kraft. Dadurch wird die Gesellschaft gespalten, und somit werden auch unsere Grundrechte untergraben. Das unkommentierte Stehenlassen von rechtspopulistischen Äußerungen gefährdet langfristig unsere Demokratie.
Im Beratungssetting stellt sich die Frage, ob- und wie ich mich als Berater*in zu rechtspopulistischen Aussagen positioniere, den Klienten/die Klientin konfrontiere oder gar Gespräche abbreche. Es gibt zahlreiche rechtspopulistische Argumentationsmuster. Einige begegnen uns häufiger in der Beratung. Drei davon möchte ich kurz darlegen und entsprechende Handlungsoptionen aufzeigen.
- Der Pseudozusammenhang:
„Es wird immer nur den Flüchtlingen geholfen, aber uns Kleinunternehmer lässt man jetzt in der Krise ganz allein.“Zwei Themen, die nicht miteinander zusammenhängen, werden hierbei miteinander verknüpft. Es ist wichtig als Berater*in hier den fehlenden Zusammenhang klar zu benennen. Nur weil vieles aus dem Staatshaushalt finanziert wird, heißt das nicht, dass alle Felder miteinander verknüpft sind oder sich gar gegenseitig beeinflussen. Das Thema Zuwanderung lässt sich nicht in Verbindung bringen mit den staatlichen Unterstützungsprogrammen, die durch die Corona- Krise freigesetzt wurden. Und gleichzeitig hat jede staatliche Unterstützung für sich betrachtet ihre Berechtigung. Nach der deutlichen Erklärung des fehlenden Zusammenhangs, ist es jedoch wichtig, das Thema hinter dem Thema zu erkennen.
Der/die Klient*in kommt in größter existenzieller Not, ausgelöst durch fehlende Aufträge in der Corona Krise. Diese Sorgen und Ängste zu sehen und zu würdigen, ihnen emphatisch zu begegnen und Lösungen zu erarbeiten, ist auch die Aufgabe des Beratenden in diesem Kontext. -
Die rassistische Verallgemeinerung:
„Ich sehe das bei meinem Nachbarn jeden Tag- Flüchtlinge wollen einfach nichts arbeiten. Ich würde ja arbeiten gehen, aber ich finde einfach nichts.“
In diesem Fall nutzt das Gegenüber seine Erfahrung mit einer einzelnen Person, um eine Aussage über eine große und vielfältige Personengruppe zu begründen und grenzt sich gleichzeitig von dieser ab, obgleich er in ähnlicher Situation der Arbeitslosigkeit ist. Unterbrechen und korrigieren ist hierbei angemessen und nötig. Das Argument ist vorurteilsbehaftet und macht genauso wenig Sinn, wie die Aussage, dass jeder Mensch aus Bayern gerne Weißwürste isst. Hinter der Aussage könnte die eigene Scham stehen, selbst in Arbeitslosigkeit geraten zu sein und derzeit auch keine Perspektive auf Neueinstellung zu sehen.
Als Berater*in versuche ich hier Wege und Möglichkeiten mit dem Klienten/der Klientin herauszuarbeiten, die Arbeitslosigkeit alsbald zu beenden und bis dahin die Existenz zu sichern. -
Das rechtspopulistische Sprachbild:
„Wir müssen uns vor der Flüchtlingsflut schützen, sonst bleibt für uns nichts mehr übrig.“
Das Wort "Flüchtlingsflut" lenkt den Fokus weg von den individuellen Schicksalen der Flüchtenden, die Schutz vor Krieg, Armut und Verfolgung suchen. Durch das Bild der "Flut" werden sie stattdessen selbst als Gefahr dargestellt. Rechtspopulistische Sprachbilder sollen eine bestimmte Wirkung erzielen.
Es ist bedeutsam, diese Sprachbilder zu erkennen, zu benennen und andere Begriffe dagegenzustellen: „Menschen, die vor dem Krieg fliehen“ oder „Fluchtbewegung.“ Berater*innen arbeiten mit Sprache. Mit welchen Wörtern wir Dinge beschreiben, beeinflusst die Assoziation darüber. Wertfreie Kommunikation ist deshalb unser Credo.
Es geht zunächst also immer darum, abwertende, rassistische oder hasserfüllte Aussagen nicht einfach stehen zu lassen, sondern Haltung zu beziehen und "radikal höflich" (vgl. Wizorek 2020) gegen Rechtspopulismus zu argumentieren. Hintergründe und Motivationen der rechtspopulistischen Aussagen können anschließend erfragt werden. In unserer Profession als Berater*in geht es auch darum, das Thema hinter dem Thema zu entdecken. Manchmal stehen rechtspopulistische Äußerungen für die Ohnmacht der Klient*innen, die Auswegs- oder Perspektivlosigkeit ihrer persönlichen Situation. Hinter manchen Aussagen stehen aber tatsächlich Fremdenfeindlichkeit oder Ablehnung anderer Denk- und Lebensweisen. Es wird schwierig, mit diesen Personen eine Gesprächsgrundlage zu finden. Wenn der Gegenüber nicht bereit ist, auf der Basis der Grundgesetzte zu diskutieren, dann kann man das Gespräch mit dieser Begründung auch abbrechen.
Veronika Wieland
Erzieherin, Sozialpädagogin, systemische Familientherapeutin
in der Allgemeinen Lebensberatung im Caritaszentrum Heppenheim
Quellenangabe: „Sag was- Radikal höflich gegen Rechtspopulismus argumentieren“. Ein Buch von Diskursiv