Der Sozial- und Integrationsminister des Landes Hessen, Kai Klose, betonte im Zusammenhang mit der Liga-Auftaktveranstaltung im Mai zu diesem Thema, wie wichtig gesellschaftlicher Zusammenhalt insbesondere in Krisenzeiten sei. Einer auf dieser Veranstaltung von Andreas Gau vorgestellten Studie der Bertelsmann Stiftung zufolge falle aller Unkenrufe und manch medialer Darstellungen zum Trotz der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht in sich zusammen. Er zeige im Gegenteil sogar positive Werte auf und dies trotz der Krisendauerschleife von Corona über Krieg bis hin zu explodierenden Energiepreisen und Inflation. In seinem Vortrag wies er zugleich auch auf die Notwendigkeit einer noch intensiveren und zielgenaueren Hinwendung zu benachteiligten Gruppen hin, beispielswiese indem neue Orte der Begegnung und der Förderung von bürgerlichem Engagement entstehen oder bestehende Formen ausgebaut würden.
Im Landkreis Bergstraße nehmen die lokalen Mitglieder der Liga der freien Wohlfahrtspflege beide benannten Seiten der Medaille ebenfalls wahr, wie Andreas Mager, Leiter des Caritas Familienzentrums in Heppenheim berichtet. So erleben die Bergsträßer Vertreter*innen des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, der Arbeiterwohlfahrt, des Deutschen Roten Kreuzes, des Diakonischen Werkes und des Caritasverbandes besonders die Familien als Kit für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Auf der anderen Seite würden die Familien von den aktuellen Herausforderungen besonders bedrängt und das bis in den Mittelstand hinein.
So berichteten Magers Kolleg*innen sowohl aus den Mitgliedsverbänden der Liga, als auch im eigenen Verband von den kreisweiten Nöten, welchen sie bei Familien an der Bergstraße täglich begegnen, angefangen von der Suche nach bezahlbaren Wohnraum. Sowohl geflüchtete, aber auch prinzipiell finanziell solide situierte Familien suchten demnach inzwischen meist ohne Ergebnis nach Wohnraum an der Bergstraße. Für die einen bedeute dies in Unterkünften sich mit mehreren anderen Familien wenige Zimmer, die Küche und das Bad zu teilen oder gar in Großzelten zu wohnen. Für andere wiederum hieße das, nicht den Arbeitsplatz in der Region antreten zu können oder wenn, dann nur dadurch, dass der Elternteil, welcher Arbeit gefunden hat, sich ein Zimmer in einem Gasthaus getrennt von der Familie dauermietet. Wer dagegen Wohnraum gefunden hat, werde unter anderem mit den hohen Abschlagszahlungen aufgrund der Energiepreise konfrontiert. Das bedeute für viele, besonders alleinerziehende Eltern mit geringem, aber auch vermehrt mittlerem Einkommen vor allem eines: Angst. Angst, aus der Wohnung geworfen zu werden oder Angst, die Kinder im kalten Zimmer spielen lassen zu müssen. Angst wiederum - so zeige die Erfahrung - bilde den Nährboden für sämtliche die Gesellschaft spaltende Tendenzen.
Hinzu komme laut Mager der vermehrte Bedarf nach Ganztagsbetreuungsplätzen, und zwar unabhängig davon, ob eine konkrete Berufstätigkeit vorliegt, bis hin zu der Frage nach spontan zur Verfügung stehenden Betreuungsmöglichkeiten, z.B. im Krankheitsfall der Eltern. Was sollen Familien auch machen, in denen die Eltern einerseits Angehörige pflegen, gleichzeitig Kinder versorgen, evtl. eine Sprache lernen und wiederum aus finanzieller Not einen Haupt- und einen zusätzlichen Nebenjob ausführen müssen? Diese Vielfachbelastung stelle die Stabilität der betroffenen Familien, vor allem der Paare, auf eine harte Probe. Wie schon angeklungen beträfe dies längst nicht mehr nur Familien in sogenannten prekären Lebenssituationen.
Auch wenn der Bund, die Länder und Kommunen hier vieles auf den Weg gebracht haben, werde dies nach Meinung des Familienzentrumsleiters und seiner Liga- Kolleg*innen noch eine Weile dauern, bis dies bei den Menschen ankommt - im Geldbeutel, aber vor allem im Kopf. Oft fehle den Betroffenen nämlich einfach die nötige Information zu den Unterstützungssystemen sowie das geeignete Instrument, der eigenen Not Abhilfe zu schaffen. Und dies, obwohl beides theoretisch zur Verfügung stände. Der Austausch darüber würde Sicherheit geben und diese wiederum sei ein wichtiges Mittel gegen Angst.
Als hilfreich habe sich laut Magers Erfahrung dabei die Kombination von offenen Gruppen- bzw. außerschulischen Bildungsangeboten mit der fachlichen Einzelberatung erwiesen. Oft seien in der Vergangenheit die Gruppenangebote als "Laber- Kreis" oder "Kaffeeklatsch" abgetan worden. Doch würden gerade über Gruppen nicht nur wesentlich mehr Menschen auf niedrigschwellige Art erreicht, sie dienten zudem der Vernetzung und dem Informationsaustausch untereinander und stellen nach Meinung des Caritasmitarbeiters ein wichtiges Mittel der Hilfe zur Selbsthilfe dar. Sorgen und Nöte würden geteilt, inklusive des Gefühls, nicht mit den Herausforderungen allein zu sein, gerade wenn es um die Familie ginge.
Und genau hier kommen die von Andreas Gau von der Bertelsmann Stiftung eingangs benannten "Orte der Begegnung" ins Spiel, welche die Mitgliedsverbände der Liga der freien Wohlfahrtspflege über den gesamten Kreis verteilt den Menschen an der Bergstraße in den unterschiedlichsten Einrichtungen anbieten. Hier erhalten die Menschen Ansehen, weiterführende Informationen, fachlich qualifizierte Beratung, Betreuung und Pflege und damit genau den Zuspruch, der Sorgen und Ängste lindern kann.
Natürlich stehen die Sozialverbände und ihre Mitarbeitenden selbst unter enormen Druck, weil sie schlichtweg selbst von den Krisen betroffen sind oder aber durch den grassierenden Fachkräftemangel in der sozialen Arbeit und Pflege sich Versorgungslücken mehr und mehr anbahnen. Letzterer werde laut Aussage von Andreas Mager derzeit aufgrund der herausragenden und vielfach selbstaufopfernden Leistungen der Mitarbeiter*innen gerade noch kompensiert.
Bei so viel menschlichem Engagement lasse er sich daher seine Hoffnung auch nicht nehmen: Zusammen mit der Politik suche man als Liga der freien Wohlfahrtspflege weiterhin gemeinsam nach Lösungen für die sozialen Herausforderungen dieser Zeit und sicher würden diese gefunden werden, solange man im Dialog auf Augenhöhe bleibe. "So kann dann gemeinsam mit allen Bürger*innen am gesellschaftlichen Zusammenhalt gearbeitet werden, wobei die gezielte Unterstützung von Familien in ihren vielfältigen Formen dabei ein grundlegender und wichtiger Baustein bleibt." ist sich Mager sicher.