mit den Psychiatern und Psychotherapeuten Stefan Weinmann und Volkmar Aderhold ein. Die Veranstaltung findet in der Orangerie, Bessunger Straße 44 in Darmstadt statt. Der Eintritt ist frei.
In seinem Buch "Die Vermessung der Psychiatrie" wirft der Autor Stefan Weinmann seinem eigenen Fachgebiet Täuschung und Selbsttäuschung vor. Er kritisiert, dass ein Großteil der modernen Psychiatrie als medizinische Disziplin sich unter einen so starken Erfolgsdruck stellt, sich an Krankheitsdefinitionen abarbeitet und der Illusion spezifisch medizinischer Therapien hingibt, aber gleichzeitig die psychosozialen Aspekte zum Nebenschauplatz macht. Für ihn verleugnet die Psychiatrie weitgehend die Tatsache, dass Menschen einfach aufgrund objektiv und/oder subjektiv belastender oder gar traumatisierender Erfahrungen psychisch auffällig werden und Symptome entwickeln. Stattdessen macht sie den Patientinnen und Patienten weiß, sie litten an Erkrankungen des Gehirns mit biologischer Fehlfunktion, die spezifischer »Interventionen« bedürften. "Diese Psychiatrie sitzt der Illusion des medizinischen Modells auf und blendet die schädigenden Wirkungen auch unserer modernen Therapien aus. Das ist Hybris", so der Buchautor. Dabei seien in der »Moderne« die Verläufe psychischer Erkrankungen insgesamt nicht besser geworden, und die Erkrankungen nehmen eher zu als ab. "Diese ernüchternde Erkenntnis mit den Fortschrittsparadigmen in Einklang zu bringen, schaffen viele Psychiater nur mit den Mitteln der Selbsttäuschung", so die Meinung von Stefan Weinmann. "Wenn man die gegenwärtige Psychiatrie verstehen will, muss man verstehen, was in den Köpfen von Psychiater*innen vor sich geht", sagt er und plädiert dafür, dass sich die Psychiatrie mehr den sozialen und auch den gesellschaftlichen Bedingungsfaktoren stellt. In der Orangerie wird er die Themen seines Buches in einem Vortrag aufgreifen und in der Diskussion Visionen einer hilfreichen Psychiatrie benennen.
Hier knüpft der "Offene Dialog" an, für den sich Volkmar Aderhold seit 15 Jahren intensiv einsetzt und Teams im psychiatrischen Arbeitsfeld hierfür qualifiziert. Entwickelt wurde die Methode in Finnland, wo es - wie in vielen anderen EU-Ländern - im Verhältnis etwa halb so viele Betten in der Psychiatrie gibt wie in Deutschland. Im Offenen Dialog geht es insbesondere um eine Haltung in der Begegnung mit Menschen in psychischen und sozialen Krisen, um eine spezifische Gesprächsführung und Einbeziehung der sozialen Lebenswelt. Im Dialog wird zugehört, mitüberlegt, unterstützt. Die Einbeziehung der Netzwerke eröffnet Ressourcen, Verständigungsprozesse über Krisen und Lösungen werden initiiert und gefördert. So kann in schweren Krisen durch den Einbezug des persönlichen Netzwerkes hilfreich und unterstützend miteinander umgegangen werden, nichts wird über den Kopf der Menschen entschieden.
Der Caritasverband Darmstadt hat als erster Anbieter in Hessen bereits mehrere Fortbildungen im "Offenen Dialog" mit Volkmar Aderhold durchgeführt und ist dabei den "Offenen Dialog" in den psychiatrischen Arbeitsfeldern umzusetzen.
Hintergrundinfo:
Stefan Weinmann ist Psychiater und Psychotherapeut mit Abschlüssen in Gesundheits- und Wirtschaftswissenschaften. Er arbeitet wissenschaftlich im Bereich psychiatrische Versorgungsforschung und besitzt mehrjährige Erfahrung mit Gesundheitssystemen unterschiedlicher Länder. Seine kritische Haltung zur Psychopharmakotherapie hat er in mehreren Publikationen dargelegt. Derzeit arbeitet er als Oberarzt im Vivantes Klinikum am Urban in Berlin.
Volkmar Aderhold arbeitete 40 Jahre in der Psychiatrie, er ist Arzt für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychotherapeutische Medizin, Lehrender für Systemische Therapie und Beratung (DGSF). Er arbeitete seit 1982 in der Psychiatrie, zehn Jahre als Oberarzt in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Universitätsklinikums Hamburg Eppendorf. Bis zu seiner Berentung war er Mitarbeiter des Instituts für Sozialpsychiatrie an der Universität Greifswald. Aktuell ist er als Gastwissenschaftler der Charité tätig.