Prägend für den Verband
Sie habe Herzschmerz, sagte Caritasdirektorin Stefanie Rhein bei der Verabschiedung von Antonia Estol, denn der Verband verliere nun eine Mitarbeiterin, die den Caritasverband Darmstadt viele Jahrzehnte sehr geprägt, vorangebracht und bereichert habe. Sie habe von der Zusammenarbeit immer sehr profitiert und das breite Fachwissen aber auch die Hartnäckigkeit und den Mut ihrer Mitarbeiterin immer sehr geschätzt. Die Caritasdirektorin dankte ihrer Mitarbeiterin für ihr großes Engagement und ihren beharrlichen Einsatz immer zum Wohle der Menschen, die gerne mal sonst aus dem Blick geraten. „Sie haben viele Kämpfe ausgehalten, auf Missstände aufmerksam gemacht, für Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit gekämpft, so manche Rückschläge erduldet und immer das Beste daraus gemacht.“
Auch die Vorsitzende der Mitarbeitendenvertretung, Rita Wingert, lobte, wie viel Antonia Estol auf den Weg gebracht hat. Da war die Hausaufgabenhilfe, der Aufbau des Betreuungsvereins, die Beratung ausländischer Gefangener und die Fachberatung für Asylfragen. Hier begleitete sie Freiwillige, die sich für Geflüchtete engagierten. Sie half Wohn- und Lebensverhältnisse zu verbessern, bei der Arbeitssuche und bei familiären und gesundheitlichen Problemen. Nach negativen Asylbescheiden versuchte sie, zusammen mit Rechtsanwält*innen Unterstützungsgruppen oder durch die Stellung von Petitionen ein Bleiberecht zu erreichen. Glücklicherweise sei sie nicht allein gewesen. Die Arbeit der Ehrenamtlichen sei sehr wertvoll.
Mutige Expertin
Gemeinsam mit ihrem Team, welches sie zwanzig Jahre leitete, ist es ihr gelungen, in Darmstadt einen gut funktionierenden Fachdienst zu betreiben. Und dies trotz turbulenter Zeiten, in denen der Migrationsdienst ökonomisch und inhaltlich immer wieder in Frage gestellt wurde.
Für die Bürgermeisterin Barbara Akdeniz ist Maria-Antonia Estol eine Expertin in migrationspolitischen Fragen. Sie habe immer den Mut gehabt, Dinge klar zu benennen. Mit Leib, Herz und großer Überzeugung habe sie sich für die Menschen und deren Themen wie Migration, Zuwanderung, Integration, Teilhabe oder Chancengerechtigkeit eingesetzt. „Misch dich weiter ein!“, lautete der dringende Appell der Bürgermeisterin. „Menschen wie dich braucht unsere Gesellschaft!“
Auch die langjährige ehemalige Kollegin aus der Allgemeinen Lebensberatung, Gudrun Schneider, erwähnte viele schwierige Themen, die gemeinsam angepackt wurden. Bei der Arbeit mit armen oder von Armut geprägten Menschen hätten sie vieles zusammen gestemmt, Frauenprojekte unterstützt und sich für Gleichberechtigung in der Gesellschaft stark gemacht, auch wenn gesetzliche Änderungen und eine sich stetig verschlechternde Finanzierung die Arbeit erschwerten und immer wieder neu aufgestellt werden musste.
Dies sei Antonia Estol aber immer bestens gelungen, bescheinigen ihr die unterschiedlichen Weggefährt*innen, die zur Abschiedsfeier gekommen sind, um Danke zu sagen.
Drei Jahre setzte Maria-Antonia Estol im Verband mit ihrem Fachwissen in der neu geschaffenen Stabsstelle Interkulturelle Öffnung ganz neue Akzente. Das Ziel war, dass Menschen mit Migrationsgeschichte alle Angebote der Caritas in gleichem Maße und so selbstverständlich wie Einheimische nutzten. In dieser Zeit habe sie auch viele Impulse für den Gesamtverband gesetzt und tiefe Spuren hinterlassen.
Trotz mancher Vorbehalte machte sie sich für die Nutzung von leichter und einfacher Sprache stark. Ihre Beharrlichkeit zahlte sich aus. Der Caritasverband Darmstadt wurde zum Vorreiter und gewann ein Preisgeld beim Ketteler-Wettbewerb für die Gestaltung seiner Internetseite in leichter Sprache. Gendergerechte und faire, diskriminierungsfreie Kommunikation wurden in den Blick genommen. Die Stellenausschreibungen kamen auf den Prüfstand, das Gendersternchen wurde etabliert, ein Leitfaden herausgebracht.
Im Jahr 2017 wurde das Psychosoziale Zentrum für Geflüchtete gegründet. Dort werden Geflüchtete beraten, die unter schweren psychischen Belastungen leiden. Da das Zentrum als Projekt aus Landesmitteln finanziert wird, die von Jahr zu Jahr vergeben werden, ist es schwierig, eine kontinuierliche Arbeit zu leisten. Für die anspruchsvolle Arbeit mit traumatisierten Menschen brauche es qualifiziertes Personal. Befristete Arbeitsverträge führten zu Fluktuation, so die Caritasmitarbeiterin, die ihre beiden Teams sehr vermissen wird. „Ich bin sehr glücklich über die wunderbare Arbeit, die sie leisten. Das macht mich stolz.“
Zukunft der Migrationsarbeit
Wenig vermissen werde sie die immer zahlreicher werdenden Administrations- und Managementaufgaben in der Leitungsfunktion. Dass die wechselnden Vorstände das Thema Migration als Schwerpunkt sehen, dafür sei sie dankbar. Andere Caritasverbände hätten ihre Migrationsdienste aufgelöst. „Ich bin immer noch der Meinung, dass Migrationssozialarbeit eine gute fachliche Begleitung braucht, sonst geht das Thema im Alltag unter.“ Und in Bezug auf die prekäre Finanzierung meint sie. „Obwohl unsere Gesellschaft auf Einwanderung angewiesen ist, erlaubt sich Deutschland, Integration als Projekt nicht als Regelaufgabe zu betrachten. Da bleibt Politik unverbindlich.“
Migration und soziale Gerechtigkeit gehe uns alle an, schon aus Eigennutz, so das eindeutige Statement der Fachfrau. „Wenn wir in einer Gesellschaft voller Benachteiligungen und Konflikte leben müssen, dann beeinträchtigt es uns alle und wenn wir anfangen, Grund- und Menschenrechte von politischen Entscheidungen abhängig zu machen, dann verändert das unser aller Leben.“
Gerührt war sie auch über die wunderschöne Abschiedsfeier, die ihre Teams für sie vorbereitet hatten. Sehr unterhaltsam führten Andreas Waldenmeier, Leiter des Migrationsdienstes an der Bergstraße, und Johanna Leichtweiß durch das Programm. Sie ist die Nachfolgerin von Maria-Antonia Estol. „Ich bin sehr froh. Sie ist vom Fach und ich übergebe alles in gute Hände. Das wird schon werden, das weiß ich!“