Die aktuelle Situation geht für viele Menschen mit großen Verunsicherungen einher. Wer hätte zu Beginn des Jahres 2020 angenommen, dass eine Virus-Pandemie in solch kurzer Zeit das gesamte gesellschaftliche Leben verändern kann und wir unter diesen Umständen Ostern feiern mussten. Als die Bundesregierung Mitte März die Kontaktbeschränkungen beschloss, hatte dies für uns alle erhebliche Auswirkungen im Beruflichen und im Privaten. Im gesellschaftlichen Kontext kommt es aktuell zu einer Erhöhung des Suchtmittelkonsums/Suchtverhaltens.
Gesperrte „Tankstellen“
Suchtmittelkonsum und Suchtverhalten wird schon in „normalen“ Zeiten von vielen Menschen unterschätzt. In Zeiten der sozialen Distanzierung, der geschlossenen Schulen und Kindertagesstätten, der Kurzarbeit oder des Homeoffice kann dies ein immer größeres Problem werden.
„Warum das so ist lässt sich relativ einfach erklären“, sagt Andrea Wiechert, die Leiterin des Suchthilfezentrums Darmstadt. „Nehmen wir als Beispiel ein Auto, welches uns nur dann zuverlässig von A nach B bringt, wenn es genug Benzin im Tank hat. Vergleichsweise können wir Menschen nur dann gut in unserem Alltag bestehen, wenn wir unseren eigenen Energietank regelmäßig mit neuer Energie befüllen. Wenn wir Dinge in unseren Tank füllen, die uns ein Wohlbefinden verschaffen.“
Viele Menschen füllen in Nicht-Corona-Zeiten ihre Energie beispielsweise mit Sport in Fitness-Studios auf. Oder indem Sie sich mit Freunden treffen, zu Hause, in Restaurants, Cafés oder Bars. Oder sie bummeln in der Stadt, sitzen im Eiscafé gehen auf Konzerte, ins Theater oder ins Kino. Auch der Konsum von Suchtmitteln gehört für viele Menschen zu diesen Wohlfühlerlebnissen dazu.
„Aktuell sitzen wir zu Hause, sollen Kinder betreuen, Homeoffice erledigen, uns in Windeseile mit Techniken beschäftigen, die wir vorher noch nicht benutzten. Sprich unser Wohlfühltank wird gerade permanent angezapft. Aber uns bleiben nicht genügend Möglichkeiten, die gewohnten Außentankstellen anzufahren. Deshalb werden nun andere Energietankstellen gesucht. Es wird gekocht, gebacken und Essen zelebriert, wie schon lange nicht mehr. Aber auch Alkohol wird mehr in den Alltag eingebunden. Er ersetzt eine nicht mehr verfügbare Außentankstelle“, so die Dienststellenleiterin.
Augenzwinkernde Rechtfertigung
Ein Gedicht macht momentan in den sozialen Netzwerken die Runde, welches Heinz Erhardt zugeschrieben wird.*
„Weil wir doch am Leben kleben, muss man abends einen heben.
So ein Virus ist geschockt, wenn man ihn mit Whisky blockt.
Auch gegorner Rebensaft einen gesunden Körper schafft.
Auch das Bier in großen Mengen wird den Virus arg versengen.
Wodka Rum und Aquavit halten Herz und Lungen fit.
Calvados und auch der Grappa helfen Mutti und dem Papa.
Ich will hier nicht für Trunksucht werben doch nüchtern will ich auch nicht sterben.“
Das liest sich im Normalfall augenzwinkernd, beschreibt aber aktuell ziemlich gut die Legitimierung, sich selbst einen Schluck zu gönnen, um dem Ganzen zu trotzen. Und „Auch in der Tagespresse wird immer wieder der steigende Alkoholkonsum in der Krise thematisiert, deshalb ist es uns wichtig, noch einmal darauf hinzuweisen, dass die Mitarbeitenden der Suchthilfe des Caritasverbandes Darmstadt weiter für unsere Klientinnen und Klienten da sind“, so Wiechert.
Zu den Caritaseinrichtungen gehören das Suchthilfezentrum Darmstadt, die Fachambulanzen für Suchtkranke in Dieburg und Erbach, sowie die Suchthilfe Heppenheim.
Beratungen gehen weiter
Die Beratungsgespräche werden aktuell telefonisch, per Video und nach Absprachen vor Ort in unseren Einrichtungen geführt. In weiterführende Therapieeinrichtungen wird nach wie vor vermittelt. Sowohl die Tagesrehabilitation am Birkenweg als auch die Fachklinik Schloss Falkenhof des Caritasverbandes Darmstadt sind geöffnet und auch andere Suchtfachkliniken nehmen neue Patienten auf. Allerdings können sich die Zugangswege durch die geltenden Kontaktregelungen und Hygienestandards verändern. Hier sind die Caritasmitarbeitenden gerne Vermittlungsstelle zwischen den Klienten und den Einrichtungen.
Alle offenen Sprechstunden und Selbsthilfeangebote müssen aktuell ausgesetzt werden. Ambulante Sucht- und Nachsorgebehandlungen werden soweit möglich telefonisch durchgeführt. Die wöchentlichen Gruppenangebote der ambulanten Rehabilitation finden derzeit noch in Form von Telefonkonferenzen und Einzeltelefonaten statt. Erstanfragende erhalten per Telefon oder E-Mail Informationen über die Behandlungsmöglichkeiten stoffgebundener Süchte sowie Glücksspielabhängigkeit. Erforderliche Unterlagen und Anträge für Behandlungsmaßnahmen werden per Post übersandt. Allerdings sind Face-to-Face-Kontakte, gerade im Bereich der Krisenintervention, durch nichts zu ersetzen. Sie werden daher unter Einhaltung des geforderten Mindestabstands durchgeführt.
Im Bereich „Betreutes Wohnen“ werden die Klient*innen nach wie vor engmaschig betreut. Die Mitarbeitenden stehen mit den Betreuten in engem telefonischem Kontakt. Persönliche Termine werden regelmäßig unter Einhaltung der Infektionsschutzregeln durchgeführt. Gemeinsame Treffen im Außenbereich, beispielweise Spaziergänge, haben sich hier etabliert.
Kontakt
Suchthilfezentrum Darmstadt
Telefonische Erreichbarkeit
Montag bis Donnerstag zwischen 9:00 Uhr und 16:00 Uhr und Freitag von 09:00 Uhr bis 12:00 Uhr.
Telefonnummern
0 61 51 – 500 28 -40 sowie alle Durchwahlen mit den Endziffern -43 bis -48, sowie -51
Fachambulanz für Suchtkranke Dieburg
Telefon 0 60 71 – 98 66 22
Fachambulanz für Suchtkranke Erbach
Telefon 0 60 62 – 95 53 30
Suchthilfe Heppenheim
Telefon 0 62 52 – 70 05 90
* Laut Carlsen Verlag, welcher Heinz Erhardts Bücher verlegt, ist das Gedicht nicht von ihm.