In der Bundesrepublik Deutschland gibt es ca. zehn Millionen Angehörige von suchtkranken Menschen. Studien belegen, dass sich die medizinischen Behandlungskosten bei Angehörigen während des Konsums eines Familienmitglieds verdoppeln. Grund dafür ist, dass die Suchterkrankung eines Familienmitglieds einen immensen Stressfaktor darstellt. Diese Kosten gehen nachweisbar zurück, sobald der Betroffene in Behandlung ist.
„Obwohl seit 2015 bei den Nationalen Gesundheitszielen die Reduzierung des Alkoholkonsums aufgenommen wurde und damit die Unterstützung suchtbelasteter Familien und ihrer Kinder klar benannt wurden, ist dieser Personenkreis weiter stigmatisiert und in unserer Gesellschaft allein gelassen“, berichtet Ulrike Steffgen, Koordinatorin Suchthilfeverbund der Caritasverbände in Hessen. „Die Refinanzierung eines Angebots für Angehörige ist in Hessen derzeit kaum möglich. Lediglich sechs Prozent dieser Gruppe haben Zugang zum Hilfesystem. In den Selbsthilfegruppen stehen Angehörigen seit Jahren die Türen offen, aber auch hier ist der Zugang nicht entsprechend den zu erwarteten Menschen mit einem Bedarf.“
Der Kreuzbund Diözesanverband Mainz e. V. (Selbsthilfe Helfergemeinschaft für Suchtkranke und Angehörige) setzte nun einen Startschuss, um die Arbeit mit Angehörigen methodisch auf neue Füße zu stellen. Neben den Selbsthilfegruppen, die schon seit Jahren auch für Angehörige offen stehen, sollen weitere spezielle Gruppen nur für Angehörige entstehen um dem Bedarf nach Unterstützung und Hilfe dieser Menschen gerecht zu werden. Ersten Gruppen in Raunheim, Mainz und Bingen sollen weitere folgen.
Dr. Gallus Bischof von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Lübeck stellte in Mainz Angehörigen, Leitungen von Angehörigengruppen, Interessierten und Beraterinnen den ersten von insgesamt zwei Schulungsblöcken „CRAFT Ansatz“ vor. Der aus den USA kommende und auf der Verhaltenstherapie basierende Ansatz vermittelt eine respektvolle Haltung den Angehörigen und den Suchtkranken gegenüber. Der CRAFT Ansatz (Community Reinforcement Ansatz Familien Training) beruht auf der Annahme, dass das konsumierende Verhalten des Betroffenen nicht mehr verstärkt werden soll. Vielmehr soll gezielt das Verhalten verstärkt werden, dass abstinentes/gesundes Verhalten fördert. Er gibt Beratern und Beraterinnen, Mitgliedern der Selbsthilfe und Angehörigen Instrumente an die Hand mit deren Hilfe Änderungen in der Kommunikation und der Beziehung in den Familien erzielt werden können.
Angehörige sollen nicht mehr macht- und hilflos sein in einer Situation, die für alle Familienmitglieder scheinbar ausweglos und krankmachend ist. Ziele des Ansatzes sind die Verbesserung der Lebenszufriedenheit der Angehörigen, die Reduzierung des Substanzkonsums und die Behandlungsaufnahme des Betroffenen.
Dieser Ansatz ist jedoch für Angehörige anstrengend, weil auch von ihnen eine Änderung im Kommunikationsverhalten und sozialen Verhalten erwartet wird. Studien zeigen allerdings, dass bei drei untersuchten Ansätzen in der Arbeit mit Angehörigen ein sehr beeindruckendes Erfolgsergebnis für den CRAFT Ansatz nachgewiesen werden konnte.
Für Angehörige heißt dies, dass sie zunehmend ihr Leben wieder in die eigene Hand nehmen konnten und dadurch ihre Lebensqualität gesteigert wurde. Häufig gelang es darüber hinaus, den Betroffenen zu motivieren, eine Behandlung in Anspruch zu nehmen.
Die Seminarteilnehmerinnen waren am Ende der beiden Tage voller neuer Informationen, die durch Dr. Bischof sehr lebendig und anhand vieler Beispiele und Übungen vermittelt wurden. Die Abschlussrunde zeigte, dass alle Teilnehmerinnen die Schulung als sehr positiv, kurzweilig und lebendig erlebt haben. Es wurde deutlich, dass es um kleine und kleinste neue Schritte geht, die wichtig sind und den Angehörigen Mut machen ihr Leben wieder in die Hand zu nehmen und zu gestalten.
Finanziell wurde die Schulung durch Zuschüsse des DiCV Mainz e.V., der Fraport AG und der AOK ermöglicht. Herzlichen Dank dafür.