Immer wieder passiere es, dass Menschen in Krankenhäusern behandelt werden und aufgrund fehlender Ressourcen nicht auf die Zweitdiagnose Sucht angesprochen und ins Hilfesystem vermittelt werden, so Caritasdirektor Ansgar Funcke. „Wir wissen aus unseren stationären Suchthilfeeinrichtungen, dass dort Patienten ankommen, die zwar in Krankenhäusern behandelt wurden, deren Abhängigkeit aber weder erkannt noch diagnostiziert wurde.“ Vielfach fehle sowohl den Ärzten in den Praxen und Krankenhäusern die Zeit, sich dieser Klientel anzunehmen, die selbst wenig Interesse daran habe, ihre Suchtproblematik offen anzusprechen.
„Suchtkranke sind oftmals in einem Teufelskreis gefangen und haben die Orientierung verloren, so dass sie keinen Ausweg mehr finden. Ratschläge von Menschen, die diesen Teufelskreis nicht kennen, werden in den meisten Fällen nicht angenommen“, so die Leiterin vom Suchthilfezentrum des Caritasverbandes Darmstadt Andrea Wiechert. „Anders, wenn man jemanden zur Seite hat, der gleiches erlebt hat und weiß, welche Route nach draußen führen kann. Sei es eine weitere Behandlung oder eine Hilfemaßnahme der beruflichen Suchthilfe oder der Suchtselbsthilfe.“
Beim Lotsenprojekt Rhein-Main sind Lotsen Sucht erfahrene Menschen, die andere Suchtkranke oder deren Angehörige auf dem Weg aus der Sucht für eine bestimmte Zeit begleiten und unterstützen und ihnen dabei helfen, die Probleme anzupacken. Die Lotsen sind Mitglieder von Selbsthilfegruppen. Sie sind freiwillig und ehrenamtlich im Lotsennetzwerk tätig und wurden durch eine Schulung auf diese Tätigkeit vorbereitet.
„Die Erfahrungen aus dem eigenen Leben, das Wissen um die Krankheit, um die Gefahren aber auch das Wissen, dass vieles möglich ist, auch ein Leben ohne Suchtmittel, ist die Besonderheit von diesem Projekt“, so der Caritasdirektor. Er freut sich, dass zum 1. Juni Christine Müller die Koordination des Projektes übernimmt.
Die Schnittstelle zwischen Krankenhäusern und Suchthilfesystem zu schließen ist ein Anliegen des Lotsennetzwerks, denn in den Kliniken entsteht der erste Kontakt zu den Betroffenen. Bisher beteiligen sich vier Krankenhäuser sowie die Entgiftungsstationen in den umliegenden Psychiatrien an dem Projekt. Des Weiteren wurden JobCenter sowie Rehabilitationseinrichtungen als Netzwerkpartner gewonnen.
Ein großes Ziel der neuen Koordinatorin ist es, noch mehr Kliniken mit ins Boot zu nehmen, um die Chancen zur frühzeitigen Beratung und Behandlung dieser Klientel zu nutzen. Ihre über 40-jährige Berufserfahrung als Heil-und Sonderpädagogin, Gesundheitsberaterin, Sportpädagogin und betriebliche Suchtberaterin kommt ihr dabei zugute. Unter anderem arbeitete sie im Sonderschulbereich mit Schülern die eine geistige Behinderung hatten und seit mehr als 17 Jahren in einer Werkstatt für geistig, körperlich und psychisch beeinträchtigte Menschen im Fachbereich des Betreuten Wohnens. „Gemeinsam mit meinen Kunden konnte ich viel über ihre Einschränkungen und Erkrankungen erfahren, sie begleiten und beraten, besonders in Krisensituationen aller Art“, so die 60-Jährige, die viele vertrauensvolle Beziehungen in der Zeit aufgebaut hat und sich mit Behörden und anderen Institutionen vernetzt hat.
Seit 1995 leitet sie eine selbst aufgebaute Kreuzbund Gruppe und seit zwei Jahren eine Gruppe für Angehörige und Partner. „Ich engagiere mich in diesem Bereich auf Landes und Bundesebene, unterstütze und begleite auch hier Menschen in Extremsituationen und Existenznöten“, so die neue Koordinatorin, die sich freut, durch ihre berufliche Veränderung im Lotsennetzwerk etwas bewegen zu dürfen und zu können.
Dank der Förderung durch die Aktion Mensch wird das Projekt seit drei Jahren im Rhein-Main Gebiet umgesetzt, da die guten Erfolge des Lotsennetzwerks Thüringen vom Projekt überzeugt haben. So sind bereits 32 Lotsen im Lotsennetzwerk Rhein-Main tätig und stehen suchtkranken Menschen zur Seite.
Bei Teilnahme an dem Projekt können die Kliniken bei Einverständniserklärung der Betroffenen den Kontakt zur Koordinationsstelle herstellen. Dort wird individuell geprüft, welcher Lotse als Wegbegleiter für persönliche Gespräche und Unterstützung in Frage kommt.
Ziel ist, dass mit Hilfe der Lotsen ein Teil der Abhängigkeitserkrankten nicht wieder in ihr altes Suchtverhalten zurückfällt und einer erneuten und kostenintensiven stationären Akutbehandlung bedarf. Der Caritasverband Darmstadt hofft, so auch die suchtkranken Menschen und Angehörige zu erreichen, die das Hilfesystem noch nicht nutzen wollen oder können. „Mit diesem Netzwerk schließen wir eine Lücke in der Versorgung suchtkranker Menschen und deren Angehörigen und haben die Chance schon frühzeitig Wege aus der Sucht aufzuzeigen“, so der Caritasdirektor. Dadurch können Folgekrankheiten und Arbeitsausfälle, die für die Betroffenen und deren Angehörigen viel Leid und für die Gesellschaft hohe Kosten verursachen, vermieden werden.
Immer im Blick hat die Koordinatorin dabei die Lotsen und Lotsinnen, regelmäßige Schulungen und Praxisbegleitungen werden angeboten, damit diese an ihrer Aufgabe wachsen und nicht zerbrechen. Denn der Lotse ist ein Weg-Begleiter, der jedoch nicht für die Klienten verantwortlich ist.
Eine neue Lotsenschulung ist in diesem Jahr geplant.
Wer daran teilnehmen möchte kann sich gerne im Suchthilfezentrum Darmstadt unter der Telefonnummer 06151 – 500 28 46 darüber informieren.