Elias sitzt am Fenster und wartet auf Heike. Sie wird ihn heute Morgen in den Kindergarten fahren. Darauf freut sich Elias sehr, denn er genießt jede Sekunde, die er mit Heike verbringen darf. Heike Erdnüß ist ehrenamtliche Familienpatin und besucht seit einem Jahr die 36jährige Jurgita Venckute und ihre vier- und sechsjährigen Jungs. Jurgita kommt aus Litauen und lebt seit fünf Jahren in Deutschland. Seit rund zwei Jahren lebt sie von ihrem Mann getrennt und hat schwere Lasten auf ihren Schultern zu tragen. Zu allen Herausforderungen, die sie als alleinerziehende Mutter zu meistern hat kommt hinzu, dass ihr vierjähriger Sohn Elias an Autismus leidet. Bis diese Diagnose gestellt wurde mussten viele Pädagogen, Psychiater, Ämter und Beratungsstellen aufgesucht werden. Eine schwere Zeit für die Familie, denn wegen seines Verhaltens durfte Elias anfangs nur knapp eine Stunde im Kindergarten bleiben. Damit war die Mutter, die im Heimatland Betriebswirtschaft studiert hatte, trotz des in Deutschland anerkannten Hochschulabschlusses chancenlos, eine Arbeit zu beginnen.
"Ich fühlte mich in dieser Zeit überfordert. Meine Eltern und Geschwister leben in Litauen, ich hatte hier niemanden, der mir zur Seite stand", erzählt Jurgita Venckute. "Durch das Autismuszentrum erfuhr ich von Hilfeangeboten der Caritas und lernte so das Projekt Guter Start ins Leben kennen und mit ihm unsere Familienpatin."
Die Chemie zwischen der Familienpatin und der Familie hatte gleich gestimmt. Die 53jährige Heike Erdnüß weiß aus eigener Erfahrung, wie schwer es ist, alleinerziehend seinen Alltag zu meistern. Heute ist ihr Sohn 26 Jahre alt und so kam in ihr vor über einem Jahr der Wunsch auf, im sozialen Bereich ehrenamtlich tätig zu werden. Durch Internetrecherche stieß sie auf das Dieburger Familienpatenprojekt des Caritasverbandes Darmstadt. Das Konzept hatte sie angesprochen, denn vor dem Einsatz in der Familie stand eine 35-stündige Qualifizierungsphase mit abschließendem Zertifikat. Dadurch und durch die weitere Begleitung durch Supervision und Fortbildung fühlte sich die Patin gut auf ihr neues Aufgabengebiet vorbereitet. Aus dem üblichen Besuch von einmal in der Woche über zwei bis vier Stunden wurde bei Heike Erdnüß schnell mehr. Durch ihr hohes Engagement fasste der anfangs doch sehr verschlossene Elias, der kaum ein deutsches Wort sprach, schnell Vertrauen zu ihr. Beim gemeinsamen Auto spielen, puzzeln und Lieder singen wird nun nicht nur viel gelacht sondern auch viel geredet. Heike tut Elias gut.
Seine Mama freut sich über das gute Verhältnis. So kann sie mal unbekümmert einen Kinoabend verbringen, weil sie ihre Söhne in guten Händen weiß. "Vor dem Patenschaftsprojekt war an so etwas nicht im Traum zu denken", so Jurgita. "Diese Entlastung bringt mir Entspannung und gibt mir neue Kraft für die täglichen Herausforderungen und den Umgang mit den Kindern." Neben der praktischen Hilfe ist sie auch für die wertvollen Tipps dankbar, die sie von der Patin erhält. Daher bespricht sie auch gerne ihre Zukunftspläne mit ihr. So möchte sie nach dem Abschluss ihres Intensivsprachkurses im Sommer eine Ausbildung zur Erzieherin an der Darmstädter Alice Eleonorenschule in Teilzeit beginnen. Doch davor sind noch Hürden zu meistern: Zum einen der erfolgreiche Kursabschluss mit C1 Zertifikat, als Voraussetzung für die Ausbildungsstelle, zum anderen die Wohnungssuche, da der Eigentümer wegen Eigenbedarf gekündigt hat. Doch trotz aller Hindernisse lässt sie den Kopf nicht hängen und ist dankbar dafür, dass die Patin so beherzt mit anpackt. "Heike entlastet mich nicht nur durch die Betreuung der Kinder und ihre Freizeittätigkeiten mit den Kindern, sie begleitet mich auch bei Behördengängen, hilft mir bei Anträgen und erledigt Telefonate für mich. Ich wüsste oft nicht, was ich ohne sie machen sollte."
Die Patin selbst ist froh, dass sie sich bei eigenen Fragen an die Projektkoordinatorin Anette Lück vom Caritasverband Darmstadt wenden kann. Diese betreut das vom Bistum Mainz finanzierte Projekt seit dem Start im Jahr 2013. Seither wurden 20 Familien mit 72 Familienmitgliedern betreut. Die Vielfalt unter den betreuten Familien ist groß: Familien mit Kleinkindern, mit leicht bis schwer behinderten Kindern, Migrantenkinder unterschiedlicher Herkunft, Familien mit Krankheiten, alleinerziehende Mütter oder Mehrkindfamilien. Dies führt immer zu einem regen Erfahrungsaustausch bei den regelmäßigen Arbeitstreffen der Paten, die fast alle von ihrer Berufsausbildung aus dem nicht-sozialen Bereich kommen.
Die guten Erfahrungen mit ihrer ersten Patenfamilie haben Heike Erdnüß ermuntert, noch einer weiteren Familie ihre Hilfe anzubieten. Vor dem Treffen mit der neuen Familie fährt sie aber erst mal zu ihren Lesekindern in die Grundschule, die sie auch ehrenamtlich betreut. Und dann fährt sie noch zu Rojus. Dieser muss wegen einer Operation ein paar Tage zu Hause bleiben und Heike hilft ihm mit Spielen und Hängematte schaukeln die Langeweile zu vertreiben.
Im November startet eine neue Patenqualifizierung. Schon jetzt können sich Frauen und Männer, die Lust haben sich als Patin oder Pate zu engagieren und ausbilden zu lassen bei der Koordinatorin Anette Lück, Tel 06071-9866-15 oder a.lueck@caritas-dieburg.de melden.