Neuroleptika in der Psychiatrie – Fluch oder Segen? Unter diesem Titel lud der Caritasverband Darmstadt e. V. Ende Januar 2018 zwei namhafte Experten zum Streitgespräch: Prof. Dr. Thomas Wobrock, Chefarzt des Zentrums für seelische Gesundheit in Groß-Umstadt und Dr. Volkmar Aderhold vom Institut für Sozialpsychiatrie der Universität Greifswald.
Die Psychiatrie-Impulse haben sich zum Ziel gesetzt, das psychiatrische Hilfesystem in ärztlicher wie gemeindepsychiatrischer Hinsicht fachlich kritisch zu hinterfragen.
Den Beginn der Veranstaltung markierten zwei prägnante Statements von Prof. Dr. Wobrock und Dr. Aderhold, in denen sie aus medizinischer Sicht die Risiken und Chancen der ärztlichen Psychopharmaka-Therapie abwägten.
Insbesondere bei schweren psychischen Erkrankungen wie Schizophrenie oder schizoaffektiven Psychosen ist die antipsychotische Medikation (Neuroleptikagabe) im klinischen Alltag immer noch die Hauptsäule der Behandlung. Dabei unterstützen Neuroleptika die nötigen psychosozialen und psychotherapeutischen Hilfen, ersetzen diese aber nicht. Neben der als positiv betrachteten antipsychotischen Wirkung führen Neuroleptika, insbesondere bei hoher Dosierung, auch zu Nebenwirkungen wie z.B.: unwillkürliche Bewegungen, Übergewicht, Diabetes, Konzentrationsstörungen, Müdigkeit, Speichelfluss, Mundtrockenheit, Bewegungsunruhe, sexuellen Störungen und anderen unerwünschten Arzneimittelwirkungen.
Mit dieser Fragestellung hat sich intensiv der Psychiater Dr. Volkmar Aderhold auseinandergesetzt. Nach dem Motto: „viel hilft viel“ werden seiner Meinung nach oft sehr hohe Dosen Neuroleptika zur Behandlung eingesetzt. Dr. Aderhold kommt unter Berufung auf verschiedene Studien zum Schluss, dass bei geringeren Dosen, als allgemein empfohlen, bereits maximale antipsychotische Wirkung erreicht wird. Als problematisch wegen der unüberschaubaren Neben- und Wechselwirkungen sieht Dr. Aderhold auch die gängige Polypharmazie, also die Behandlung eines Symptoms mit zwei oder mehreren Medikamenten.
Eine andere Meinung vertrat hierzu Prof. Dr. Thomas Wobrock. Er sagte, dass eine verantwortungsvolle, in der Dosierung auf das klinische Zustandsbild abgestimmte Gabe von Antipsychotika (Neuroleptika) schon seit längerem gelebte Praxis in den psychiatrischen Kliniken und bei den niedergelassenen Fachärzten für Psychiatrie sei. Pharmakologische Maßnahmen wie die Einnahme von Antipsychotika seien ein nicht wegzudenkendes Mittel der klinischen Intervention, insbesondere in der Akutphase der Erkrankung, ggf. auch in Kombination mit angstlösenden Medikamenten. Durch Antipsychotika werde häufig eine rasche Besserung der psychotischen Symptome erreicht, was oft erst eine weitergehende psychotherapeutische Arbeit und das Annehmen von psychosozialen Hilfen ermögliche.
Die weit über 100 ZuhörerInnen im vollen Theater im Pädagog hatten in der Pause der Veranstaltung die Möglichkeit, auf ausliegenden Blanko-Bierdeckeln Fragen an die Referenten zu formulieren. Hiervon wurde rege Gebrauch gemacht, welches viele spannende und kritische Fragestellungen zur Folge hatte, die wahrscheinlich in dieser Art niemals offen gestellt worden wären und dem Verlauf der Debatte inspirierende Würze verliehen.
Der Abend endete mit verbliebenen Gästen zum gemeinsamen Bier an der Theatertheke, bei dem beide Kontrahenten vielleicht mehr inhaltliche Übereinstimmungen feststellten, als vorher zu prognostizieren war.
Die erfolgreiche Reihe wird, laut Mitorganisator Bastian Ripper des Caritasverbands Darmstadt, auf jeden Fall fortgesetzt.