Saša Stanišić ist ein guter Erzähler. Der studierte Literaturwissenschaftler, ist bekannt für seinen Sprachwitz, aber auch für seine traurigen Töne, mit denen er seine Leser*innen berührt. So ist das Publikum im Café Klostergarten an vielen Stellen bewegt und an anderen Stellen amüsiert, als der Buchautor Geschichten aus seinem autobiografischen Roman vorliest.
Nach einer Kindheit in Višegrad im östlichen Bosnien kommt der damals 14-jährige Saša 1992 mit seiner muslimischen Mutter in Heidelberg als sogenannter "Flüchtling" an. Sein serbischer Vater kann erst nach etwa sechs Monaten folgen, ein halbes Jahr in Kriegszeiten, über das in der Familie auch später nicht gesprochen wird. Unterschiedlich verliefen die Jahre für ihn und seine Eltern im Heidelberger Stadtteil Emmertsgrund, in dem die Familie Stanišić die 90er Jahre verbrachte. Während bei Saša das Glück überwog, wie er selbst beschreibt, war es für die Eltern schon recht schwer. In der Familie habe sich gezeigt, wie unterschiedlich Integration in einem fremden Land stattfinde. Saša lernte Deutschland als neue Heimat lieben und schätzen, er lernte die Sprache, besuchte die Schule, fand Freunde und seine erste Liebe. Aber immer saß das "Fallbeil" der Abschiebung ihm und seinen Eltern im Nacken.
Letztendlich sei es die Caritas gewesen, die seinen Eltern in schweren Zeiten einen neuen Weg aufgezeigt habe, nämlich den, in die USA auszureisen. Für ihn sei dies keine Option gewesen und so verbinde ihn bis heute eine besondere Dankbarkeit zu seinem Sachbearbeiter bei der Ausländerbehörde, der ihm gut zugehört habe und mit ihm nach Lösungen gesucht habe, um gesetzeskonform die Aufenthaltserlaubnis zu erreichen. "Ich hatte zwar mit meinem Sachbearbeiter Glück, viele andere Ausländer aber geraten an Beamte, die bestenfalls Dienst nach Vorschrift machen. Schlimmstenfalls aber sind sie nicht mal im Ansatz am Schicksal der Betroffenen interessiert", so Saša Stanišić im Gespräch mit Maria-Antonia Estol, Leiterin des Migrationsdienstes Darmstadt, die durch die Lesung moderiert. "Umstände, an denen Schicksale hängen, sollten nicht von der Güte eines einzelnen Mitarbeiters der Behörde abhängen." Es brauche eine objektive humane Rechtsprechung und den allgemeinen Willen zur Schaffung fairer Verhältnisse. Nur so könne eine Gleichbehandlung und der Schutz jener, die Schutz bedürfen, gewährleistet sein. Und das sind in Deutschland nach wie vor viele. Der Ukraine-Krieg zeigt dies erneut.
Dann liest er wieder seine Geschichten, die nachdenklich und unterhaltsam zugleich sind. Er erzählt von seinem eigenen Leben - und dem Leben überhaupt. Das Buch sucht Antworten auf die Fragen: Was prägt uns, was macht uns zu dem, was wir sind? Und woher kommen wir eigentlich? "Es ist ein Buch über den ersten Zufall unserer Biografie: irgendwo geboren werden. Und was danach kommt. "Herkunft" ist ein Buch über meine Heimaten, in der Erinnerung und der Erfindung. Ein Buch über Ankommen, Sicherheit, Sprache, Freundschaft, Schulbildung, Liebe, Arbeit, Heimat", so der Autor, der heute in Hamburg lebt und arbeitet.
Das Buch sprüht von Gedanken und Witz. Es ist mitreißend, melancholisch, einfühlsam und witzig zugleich, es hinterfragt die eigene Sichtweise, regt zum Nachdenken an, ist eindrucksvoll und sehr persönlich. Sehr ausdrucksstark trägt der Autor seine Kapitel vor und macht vielen Zuhörer*innen Interesse auf mehr, die Schlange, ein signiertes Buch zu erwerben, ist an dem Abend lang.
Auch Cornelia Tigges-Schwering, Leiterin des Migrationsdienstes im Kreis Bergstraße, hat sich angestellt. Sie lässt ein Kinderbuch des Autors signieren. Sie und ihre Kollegin haben diesen Abend organisiert, auch um auf die 60-jährige Arbeit der Migrationsdienste aufmerksam zu machen, die Menschen begleiten, die als Fremde in Deutschland ankommen und viele Fragen und Sorgen im Gepäck haben.
Fotos: Jürgen Planert
Kontakt:
Migrationsdienst Bergstraße, Franziskushaus, Klostergasse 5 A, 64625 Bensheim, Tel.: 06251 854250
Migrationsdienst Darmstadt, Caritaszentrum St. Ludwig, Wilhelm-Glässing-Straße 15-17, 64283 Darmstadt, Tel.: 06151 500 28 70